Muster

Das Muster-Modell

Das Muster-Modell

«Die Natur nimmt sich, was sie braucht. Anders als bei uns Menschen sind hier keine Emotionen im Spiel». Sepp Muster lehnt sich an den imposanten Holzherd in der gemütlichen und äusserst geräumigen Küche und schenkt der Hornisse, die unter seinen nackten Füssen herumkrabbelt, nur beiläufig Aufmerksamkeit. Mit ihren Artgenossinnen ist sie vermutlich in ein Nest unter der Fensterbank in der Küche eingezogen. Es ist die Wesensart von Sepp Muster, alles um ihn herum mit einer unbekümmerten Neugier zu beobachten – freudig erheitert ob all den präsenten Phänomenen. Seine Gelassenheit verliert Sepp auch bei unerwarteten Ereignissen nicht. Über die letzten 42 Jahre investierte Sepp einen Grossteil seiner Energie in den Aufbau des aussergewöhnlichen Hofes – mit Unterstützung seines Vaters und vor allem seiner Frau Maria.

Der Weg zieht einsam seine engen Kurven von Leutschach hinauf, und die Bilder der Tagestouristen, der vielen Elektrofahrräder und der vollen Gaststätten im nahen Gamlitz verblassen allmählich inmitten der spektakulären Hügel, die sich in sattem Grün aneinanderreihen. Wären die Pappeln auf den Hügelkuppen Zypressen, könnte man das südsteirische Hügelland in der morgendlichen Dämmerung leicht mit der Toskana verwechseln. Der idyllische Hof von Sepp und Maria Muster befindet sich auf einer Krete, die zu beiden Seiten steil abfallende Weingärten trennt. Am Fuss umsäumt ein dichter Mischwald die Rebfläche, und auf der Westseite des Hofes gehen Streuobstwiese und Gemüsegarten in die Rebparzellen über. Das Wohnhaus, die Remise und der ehemalige Stall reihen sich um eine Linde, und das Ambiente des Hofs zieht den Gast augenblicklich in seinen kraftvollen, entschleunigenden Bann – hier wurde mit Beharrlichkeit, Sorgfalt und Leidenschaft ein einzigartiger Ort erschaffen. Die Ziegeldächer beispielsweise scheinen wie ein gemächlicher Bach zu fliessen und leuchten im Sonnenlicht in nuancierten, erdigen Rottönen. Für das Dach wurden eigens drei verschiedene Ziegel in unterschiedlichen Farbtönen, Formen und Wölbungen nach dem Vorbild der alten sogenannten Wiener Taschen hergestellt. Auch das Handwerk und die Bauten sollen Lebendigkeit auf die Umgebung übertragen. Der Stall zeugt von der landwirtschaftlichen Vergangenheit eines Mischbetriebs. Heute beschränkt sich der Nutztierbestand auf eine Vielzahl von Insekten, Vögeln, Fledermäusen und auf drei eigenwillige Katzen, die sich zuverlässig um den Mäusebestand kümmern. Der Stall wird heute als Betriebsgebäude für Weinbereitung und Lagerung genutzt, und im ehemaligen Heuboden ist die ausgeklügelte Haustechnik untergebracht. Die Holzschnitzelheizung versorgt den Hof aus dem Totholz der acht Hektar Wald mit der nötigen Wärme. Die Fotovoltaik deckt den Strombedarf und liefert den Kraftstoff für den Kleinwagen, der die Mobilität in den abgelegenen Hügeln sicherstellt. Das Wasser stammt von der eigenen Quelle, das Abwasser verlässt den Hof ausschliesslich gereinigt und aufbereitet. Das unaufhörliche Streben nach maximaler Unabhängigkeit ist bei Sepp und Maria zur Lebensphilosophie geworden und ist in keiner Weise Mittel zur Abgrenzung. Hier definiert sich der Mensch als Rädchen in einem funktionierenden System und ist bemüht, vorhandene Ressourcen nicht auszubeuten, sondern zu aktivieren und zu unterhalten. Der Antrieb im System Muster stammt von der Kraft der Natur, die sich hier durch Umsicht und Reflexion voll entfalten kann – und das Muster Modell funktioniert!

Die organische Materie nimmt zu, die pflanzliche Diversität in den Weingärten erreicht heute die Vielfalt einer Auenlandschaft, und wirtschaftlich hat der Betrieb die Substanz, um naturbedingte Schwankungen und allfällige Ertragseinbussen auszugleichen und den Prozessen in der Weinbereitung die erforderliche Zeit einzuräumen, damit keinerlei qualitative Kompromisse eingegangen werden müssen. Der zertifizierte Demeterbetrieb verzichtet bewusst auf die ihm zustehenden Subventionen. Schwefel und Kupfer, die für den Pflanzenschutz eingesetzt werden, sind inzwischen noch die einzigen Substanzen, die nicht auf dem Gut produziert werden und den Hof nicht wieder verlassen.

Nicht nur die wirtschaftliche Substanz generiert der Betrieb aus den zehn Hektar Weingärten, auch sind sie Quelle für ein Produkt mit einem erheblichen kulturellen Wert, das gleichsam den Ort mit seiner kulturprägenden Identität, Energie und viel Inspiration in die Welt trägt. Die Reben wachsen auf kargem Opok, wie hier die sand- oder lehmdominerten Kalkmergelböden genannt werden. Geradezu prädestiniert für den Weinbau lassen sie aufgrund ihrer Kargheit kaum andere Kulturpflanzen zu. Teilweise musste der blanke Fels aufgesprengt und anschliessend der Verwitterung überlassen werden, bevor die Weingärten angelegt werden konnten. Über die Jahre lockerte das Wurzelwerk der Reben den Opok weiter auf, um heute die Basis des Biotopes von über 70 unterschiedlichen Pflanzenarten zu schaffen. Auf der Hügelumrundung durch die Weingärten duckt sich Sepp von Rebzeile zu Rebzeile, und es scheint ihm nichts zu entgehen. Er entfernt vom Wind geknickte Triebe, überprüft den Traubenbereich und den Behang an einer wüchsigen Stelle und schätzt das Stadium des natürlichen Krankheitsdrucks ein. Alles scheint noch in der Balance zu sein und vorausschauend versucht Sepp abzuschätzen, wie viel Platz im Keller für die diesjährige Ernte zu schaffen ist. Die Reben ähneln hier schmächtigen Obstbäumchen, die sich in der Wachstumsphase frei entfalten können – auf das Zurückschneiden der Triebe wird in der Vegetationsphase verzichtet. Es waren eingehende Beobachtungen, gekoppelt mit einem Impuls des Schwiegervaters, das Erziehungssystem auf einen einzigen Draht auf Kopfhöhe zu reduzieren, was nicht zuletzt auch eine ungewohnte Bewegungsfreiheit bei den Streifzügen durch die Reben ermöglicht. Das sogenannte Umkehrerziehungssystem widerspricht so ziemlich sämtlichen Regeln der gängigen Erziehungssysteme, aber für Sepp ist klar, dass es ohnehin kein allgemein funktionierendes Rezept und nicht nur eine Betrachtungsweise gibt. Sein Weingarten ist Resultat eines vier Jahrzehnte andauernden Studiums seiner unmittelbaren Umgebung. Andere Orte mit anderen Bedingungen erfordern andere landwirtschaftliche Massnahmen.

Sepp erreicht eine Stelle inmitten des Weingartens mit Reben deutlich zierlicherer Statur und geringerem Traubenbehang. Hier ist der kompakte Fels dicht an der Oberfläche und die Trauben aus dieser Zone bilden die Basis für die Komplexität des Sgaminegg. Währen der Ernte zieht sich Sepp gelegentlich auf eine übersichtliche Kuppe zurück, um die Erntehelfer anhand der unterschiedlichen Grüntöne der Blätter – sie zeigen die Kargheit der Böden an – aus der Distanz zur Selektion der Trauben anzuleiten. Etwas weiter unten überprüft Sepp den Zustand eines Pfahls aus Kastanienholz, der jeder Rebe zur Verfügung steht. Wie Urreben ranken sich die Pflanzen um den Pfahl und können sich ungehindert entwickeln. Das Holz für die Pfähle wächst im eigenen Mischwald. 20 Jahre vergehen, bis die Edelkastanie zu Pfählen verarbeitet werden kann, und 20 Jahre bieten die Pfähle den Reben Halt im Weingarten, bevor sie zusammen mit dem Totholz Wärme spenden für den Winter.
Das Modell Muster steht für das Urvertrauen in die Natur und für die daraus resultierenden Weine, die einfach sein dürfen, unverfälschtes Abbild ihres Kontextes sind, sich bewegen und verändern, ohne je beliebig zu sein. In der Konfrontation erschliessen sich einem diese Weine weniger über die analytische Betrachtung der Ästhetik. Vielmehr ist es die wohltuende Wirkung auf Körper und Geist – für die einen vereinnahmend und inspirierend, für die anderen werden sie ein Geheimnis bleiben.

zu den Weinen von Sepp&Maria Muster