Matassa

Interview mit Tom Lubbe

Interview mit Tom Lubbe

1.8.2018

Das Projekt Matassa startete 2002 in den Pyrenées Orientales in Le Vivier mit einem uralten Carignan-Weingarten. Weshalb hast du gerade diesen Ort gewählt?

Als ich für die Domaine Gauby und den Wein le Soula auf diesem Hochplateau engagiert war, haben mich gute Umstände, glückliche Fügung und eine Portion Inspiration in Le Vivier respektive in Saint Martin de Fenouillet zu einer bloss ¼ Hektar grossen Rebparzelle geführt, die umgeben von Wald und unmittelbar neben dem Flüsschen Matassa lag – aufgelassen und mit ungeschnittenen uralten Rebstöcken. Ich sah dieses Stück Land, sah die Kombination von Reben, Bäumen und Wasser, und wollte dort unbedingt Wein machen können. Der alte Bauer, der zufällig dazukam, entpuppte sich als der Besitzer, der, wie so oft in dieser Gegend, niemanden fand, der seine Reben übernehmen möchte. Wir einigten uns sehr rasch und so wurde dieser Ort der Beginn von Matassa.

Heute konzentriert sich Matassa auf Lagen rund um Calce. Hat sich dein Fokus in der Landwirtschaft in diesen 15 Jahren verändert?

Vieles hat sich verändert, inklusive mein Körper. Mit 30 bist du topfit. Ich arbeitete zu Beginn ohne jegliche Maschinen, hatte nicht einmal einen Traktor, bearbeitete bis zu sechs Hektar Reben von Hand, einzig mit der Unterstützung von einem oder zwei Mitarbeitern. Mit 50 geht das rein körperlich nicht mehr. Ich versuche somit, bei Neupflanzungen die Zugänglichkeit für einen Traktor gewährleisten zu können.

Wenn ich zu Beginn meiner Arbeit viele und oftmals auch experimentelle Aktivitäten verstreut an vielen Orten und auf vielen Rebparzellen verfolgte, habe ich über die Jahre meine Arbeit ganz bewusst sukzessive in und um Calce konsolidiert und konzentriert. Es war schlichtweg nicht mehr praktikabel, diese Vielzahl an verstreuten Parzellen unter einen Hut zu bringen.

Als Zugezogener war ich von Anbeginn weg freier in meinen Entscheidungen als dies mancher Einheimischer ist. Diese Möglichkeiten zum Experimentieren und ganz nach meinen Vorstellungen z.B. einen Erntezeitpunkt wählen zu können, ohne einer Erwartungshaltung eines Vaters, Grossvaters oder der Winzerkooperative genügen zu müssen, das war mir und bleibt mir immer wichtig. Die Freiheit in meinen Entscheidungen ermöglicht auch ein ständiges Lernen und Weiterentwickeln der eigenen Arbeit. Dazu gehört auch, dass ich heute mehr eigene Reben pflanze und nicht nur alte, verlassene Parzellen übernehme – und so meine Vision und Ideen von Anfang an einbringen kann.

Mein Blick auf die Landwirtschaft hat sich natürlich ebenfalls verändert. Heute sehe ich z.B. in Rudolf Steiners Biodynamik andere Aspekte als diejenigen, die ich vor 15 Jahren suchte. Seine Sicht auf die Wichtigkeit des organischen Materials im Boden steht auch bei mir inzwischen im Zentrum. Es irritiert mich, wie simplifizierend und beschränkt ein Grossteil der biodynamisch arbeitenden Winzer und Bauern auf Steiner zurückgreift. Sie pflücken die einfach anwendbaren Methoden heraus, machen aber einen Bogen um essentielle Aspekte, die ihnen entweder zu anstrengend, aufwändig oder zu weitgehend scheinen. Denn dies würde harte Arbeit bedeuten.

Dementsprechend investiere ich in den Boden. Ich will die Böden vitalisieren, organisches Material zuführen, Böden begrünen und bedecken, kompostieren, nicht mehr pflügen und aufbrechen. Ich will sie aktivieren, reichhaltig, divers und lebendig machen. Das tönt einfach, ist es aber überhaupt nicht. Es bedingt gewaltige Investitionen, braucht Zeit und harte Arbeit, Beharrlichkeit und Geduld, eine Langfristperspektive über Generationen und ein Gefühl für natürliche Prozesse. Das sind vermutlich alles Gründe, warum sich nur so wenige der biodynamisch arbeitenden Winzer konsequent auf das organische Material des Bodens fokussieren.

Wenn dann aber mit der Zeit die Grundvoraussetzungen für gesunde, vitale Böden gegeben sind, können gesunde Reben wachsen, die gesundes Traubengut hervorbringen, die wiederum komplexere, feinere, reichhaltigere und schlichtweg bessere Weine ergeben. Die Weine werden besser, wenn die Trauben besser werden. Mit der Zeit kann das Weinmachen einfacher und einfacher werden, denn vollkommen gesunde Trauben werden ohne jegliches Zutun des Winzers zu diesem mirakulösen Getränk genannt Wein.

Wer Matassa seit 15 Jahren verfolgt, erlebte einen Wandel auch in der Form der Weine. Ist diese Veränderung die Konsequenz deiner heutigen Landwirtschaft oder reagierst du auf die Zeit?

Oftmals werde ich gefragt, was es mit der Veränderung des Stils meiner Weine auf sich habe. Die Leute bemerken insbesondere, wie über die Jahre der Alkoholgehalt ständig gesunken ist und sich inzwischen bei rund 10-12% Vol. eingependelt hat. Das ist für mich eine logische und direkte Konsequenz der Arbeit mit der Bodenbedeckung und Begrünung. In weniger als zehn Jahren bekam ich einen rund dreifach höheren Anteil an organischem Material in die Böden, die Regenwurmpopulation – ein ausgezeichneter Indikator für die Vitalität und somit die Qualität der Böden – verzehnfachte sich auf rund 3000kg pro Hektar, die Wasserspeicherfähigkeit des Bodens verbesserte sich massiv. So leiden die Reben in der Sommerhitze nicht, sie nehmen mehr Mineralstoffe auf und pumpen nicht bloss Zucker in die Trauben. Reben produzieren Zucker als Stressreaktion. Indem meine Reben keinen Stress haben, hat das Traubengut wenig Zucker und die Weine somit wenig Alkohol. Der geringe Alkoholgehalt hat denn auch nichts mit der oft geäusserten Vermutung zu tun, dass ich sehr früh mit der Traubenlese beginne. Es ist die Gesundheit der Trauben. Oder anders herum gesagt: Die Form meiner Weine hat sich zweifellos mit der Form meiner Landwirtschaft verändert, die Weine sind die Konsequenz der Arbeit mit dem Boden.

Im Keller wiederum arbeite ich inzwischen konsequent mit altem statt mit neuem Holz, mit grösseren Fässern statt mit kleinen Barriques, mit Zement und Ton statt mit Holz. Mich interessiert ein möglichst geschmacksneutraler Ausbau, wo das Gebindematerial keine wesentliche sensorische Prägung ausübt.

Der Rückgang des Alkoholgehalts in meinen Weinen hat deren Profil natürlich stark verändert. Im Vordergrund stehen nun Weine mit mehr Geschmack, Weine, die Energie verleihen, Weine, die eine grössere Trinkigkeit und eine bessere Bekömmlichkeit mit sich bringen.

Wenn ich mich zurückerinnere, gab es eine Zeit, wo ich zweifelte, ob der Markt diesen deutlichen Rückgang des Alkoholgehalts meiner Weine akzeptieren würde. Zwar zeigten sich die Weine trotz weniger Alkohol noch aromatischer, noch komplexer, aber ich musste sie aufgrund des niedrigen Alkoholgehalts absurderweise von Vin de Pays zu Vin de France deklassieren, als wir mit dem 2014er Jahrgang keinen einzigen Wein mit mehr als 11% Vol. Alkohol hatten.

Bei all diesen Entwicklungen über die letzten 15 Jahre realisiere ich einen Wandel in den Böden, im Wein, aber auch in mir – und daher spüre ich nach wie vor eine sehr starke Verbindung zu dieser kleinen Parzelle Matassa ganz zu Beginn meiner Arbeit hier, wo auf natürliche Weise dank der Exposition inmitten des Waldes eine hohe mikrobiologische Aktivität im Boden stattfand und so für mich bereits eine aussergewöhnliche Ausgangslage bereit stand – grün, kühl, feucht, lebendig.

Es gibt sehr viele junge Winzer, die mit dir in Calce arbeiteten und die heute selber erfolgreiche Weinbauprojekte führen. Wie wichtig ist dir dieser Austausch in deiner Arbeit?

Sich auszutauschen, zu diskutieren, sich gegenseitig inspirieren, alternative Sichtweisen und Erfahrungen zu teilen, das alles sind grossartige Möglichkeiten, um sich zu entwickeln und vorwärts zu bewegen. Viele Winzer, die zu mir gekommen sind und mehr oder weniger lange auf dem Betrieb mitgearbeitet haben, kamen bereits mit einer fachlichen Ausbildung und einiger Erfahrung. Wenn du jedoch während der Ausbildung und in einem Betrieb über Jahre eingetrichtert bekommen hast, dass du sogenannt sicher, d.h. mit Schwefel arbeiten musst, dass du mit Additiven und mit Kellertechnologie die sogenannte Exportsicherheit gewährleisten musst, dann ist der Moment hart, wo du realisierst, dass du Gelerntes über Bord werfen musst, um Weinbau neu denken und lernen zu können. Andere wiederum fanden hier die Bestätigung ihres gewählten Wegs. Aber praktisch alle sind jeweils erstaunt, wenn sie sehen, dass wir nichts machen, sobald der Wein zu gären beginnt. Sie sind gewohnt, viel zu tun, geschäftig und aktiv zu intervenieren, um damit vermeintlich ihre fachliche Kompetenz zu belegen. Aber wir machen nichts. Grundvoraussetzung dafür ist – ich muss es immer wieder betonen – gesunde Trauben.

Mir ist aber auch ein anderer Aspekt des Austauschs wichtig: Ich suche den Dialog mit den Konsumenten. Ich will die unmittelbaren Reaktionen auf meine Weine mitbekommen, nicht nur von Profis. Formelle Tastings mit Schlürfen, Spucken, Notizen und Jargon sind mir ein Gräuel, viel lieber will ich sehen, wer meine Weine trinkt. Wein trinkt man – und mit diesen Leuten will ich mich austauschen.

Wenn ich mich in der Welt bewege und jährlich bis zu zwei Monaten reise, realisiere ich natürlich auch, wie sich der weltweite Weinmarkt in sehr kurzer Zeit doch stark verändert hat. Inzwischen heult kein einigermassen offener Weintrinker mehr auf, wenn in einem Wein ein Hauch Kohlensäure drin ist, der Wein unfiltriert ist oder eben einen niedrigen Alkoholgehalt hat. Vielmehr bekommen diese Weine eine neue Aufmerksamkeit, da sie getrunken werden, Energie verleihen, die Leute inspirieren. Aber diese Entwicklung ist jung, denn noch vor zehn Jahren waren 99% aller Weine Supermarkt-Weine. Damit meine ich nicht nur die 2 Euro-Flasche, sondern auch die 1000 Euro-Flasche berühmtester Provenienz, die aber schlichtweg keine relevante Aussage zu machen vermag. Heute entfalten in Weinbauregionen wie z.B. in Australien, wo nach wie vor gewaltige Mengen an unsäglichen Weinen produziert werden, einige kleine, dynamische und enthusiastische Produzenten sowie eine wachsende Konsumentenschaft eine ernstzunehmende Kraft. Bereits zeigt sich, dass die gesamte Weinwelt diese Tendenz nicht ignorieren kann und bereits zeigen sich erste Einflüsse auf die Produktionsmethoden von Grossproduzenten.

Matassa startet mit einer neuen Domaine ein neues Kapitel. Blickst du generell optimistisch in die Zukunft?

Ich sehe Vieles optimistisch, die Akzeptanz dieser Art Weine wächst stetig, chemikalienfreier Rebbau und additivfreie Weinbereitung sind im Aufwind. Die Leute haben ein grösseres Bewusstsein für die Wichtigkeit einer neuen Form der Landwirtschaft, obwohl sie noch weit in der Minderheit sind. Der ökologische Imperativ ist erkannt, auch wenn die grosse Mehrheit der Produktionsweisen immer noch sehr destruktiv ist – analog zur Tatsache, dass die grosse Mehrheit der Weine immer noch untrinkbar ist. Aber wir haben inzwischen Alternativen.

Glücklicherweise ist Wein wieder zu einem Getränk geworden. Die Tage von Wein als Statussymbol sind gezählt. Dass ein amerikanischer Rechtsanwalt über lange Zeit Punkte, Prestige und Preis vermählen konnte und damit den globalen Weinmarkt dominierte, ist aus heutiger Sicht lächerlich. Parker wird in seriösen Kreisen zunehmend irrelevant, wird bestenfalls zur historischen Anekdote.

Die relevante Gastronomie hat rund um den Globus die Kraft von Weinen erkannt, die eine Ausstrahlung haben. Dass ein Restaurant wie das Noma in Kopenhagen eine Weinkarte hat, die ausschliesslich aus Weinen dieser Machart und Stilistik besteht und gänzlich auf vermeintliches Prestige und auf überteuerten Status verzichtet, zeigt, dass es möglich ist, die Welt zu bewegen.

Persönlich freue ich mich enorm auf unser neues Projekt. Matassa bewegt sich mit dem Kauf eines alten Mas, eines Landhauses mit einem 25 Hektar grossen Landwirtschaftsbetrieb, weiter in die Richtung, die mir von Beginn weg als Vision vorschwebte: Eine grüne, schattige, vielfältig durchmischte Landschaft, landwirtschaftlich genutzt. Logischerweise wird die Arbeit mit den Böden dabei weiterhin im Zentrum stehen.

Auf dem neuen Betrieb haben wir einen Hektar Olivenbäume. Ich werde somit künftig Öl produzieren. Ich will aber auch Aprikosen-, Kirschen-, Feigen- und Granatapfelbäume pflanzen, sicher Gemüse, vermutlich auch Weizen. Ich freue mich enorm, viel zu pflanzen und dann wachsen zu sehen. Wein wird im Rahmen dieses landwirtschaftlichen Mischbetriebs ein Teil eines zusammenhängenden Systems ein. Wein wird eines der Produkte sein, ein Aspekt meiner Arbeit, schlussendlich aber auch die Konsequenz dieser Arbeit. Und um den Bogen zum Ausgangspunkt von Matassa wieder herzustellen: Mitten durch dieses Land fliesst ein Bach.

Wenn ich dann am Ende meines Arbeitslebens mit diesem Ort einigen Leuten etwas Freude und einen Beitrag an ihre Gesundheit ermöglicht habe, bin ich glücklich.