Standpunkt Nr. 1

Die Poesie des Glases: Mozart, «Don Camillo und Peppone» und das Glas, in dem der Wein über sich hinauswächst

Von Christian Seiler – erschienen im Magazin vom 1. November 2013

Manchmal, zum Beispiel bei der Lektüre von Verkostungsnotizen in Weinmagazinen, überkommt mich das Gefühl tiefer Ruhe. Die Daten rauschen an mir vorbei wie der Verkehr von gestern. Auch Bewertungen interessieren mich nicht. Weine, die einer ganzen Jury am besten gefallen haben, sind in der Regel nichts für mich: zu laut, zu kräftig, zu Vanille.

Eher suche ich nach Winzern, die etwas Poetisches über die Arbeit am Weinberg sagen, die mir mitteilen, dass sie bei der Kellerarbeit Mozart hören oder «Don Camillo und Peppone» lieben. Die Chancen, dass mir ihre Weine besser gefallen als jene irgendwelcher Testsieger, stehen gemäss einer Langzeitstudie (Sample = 1) hoch.

Wein ist ein sensibler Gegenstand. Kaum ein Lebensmittel muss sich so zwischen kulturellen Images und Marketingvisionen behaupten. Zudem bedarf ein guter Wein der richtigen Hardware. Er muss richtig gelagert, aber auch zur rechten Zeit entkorkt, richtig temperiert und schliesslich, wichtig, in ein Glas eingeschenkt werden, das diesen Namen verdient.

Ich habe oft mit Weintrinkern gestritten, die darauf bestanden, dass ihr Lieblingswein auch aus einem Wasserglas gut schmeckt. Sie haben nicht recht, auch wenn es noch immer französische Spitzengastronomen gibt, die diese Meinung teilen und Weine für 150 Euro in Gläsern von der Eleganz eines Skischuhs servieren.

Es ist das Verdienst der Tiroler Glasbläserei Riedel, dass der ständig zunehmende Perfektionismus der Winzer eine Entsprechung an der Hardware-Front bekam: Riedel decodierte die Geschmackslandschaft der Zunge und setzte die Erkenntnisse in Beziehung zur Weinwissenschaft. Das Ergebnis war eine Flotte an Spezialgläsern, deren Gebrauch äusserst sensibel – gar nicht erst an den Geschirrspüler denken! – und für den Alltag unerschwinglich teuer war.

Die Firma Riedel hat meine Neigung zu dünnwandigen Gläsern aus Kristallglas begründet, aber ein anderer Produzent hat sie neuerdings in regelrechte Liebe verwandelt. Seit die Glasmanufaktur Zalto aus Neunagelberg im Norden des niederösterreichischen Waldviertels begonnen hat, ihre Gläser der Serie «Denk Art» zu produzieren, lebe ich in der Gewissheit, dass ein gutes Glas mehr Einfluss auf den Genuss von Wein hat als alles andere, abgesehen vom Wein selbst.

Die Gläser von Zalto haben ein elegantes, am Boden fast eckiges Design (wie auch das in der Schweiz beliebte Gabriel-Glas). Die dabei verwendeten Winkel von 24°, 48° und 72° entsprechen, so die Zalto-Designer, den Neigungswinkeln unserer Erde. Sie berufen sich dabei auf Geschichte und Kosmos, also auf ein weites Assoziationsfeld.

Normalerweise würde mich so eine Story sofort kopfscheu machen, aber ich erfuhr sie erst, als ich das Glas bereits ausprobiert hatte. Seine Eigenschaften sind phänomenal. Nicht nur, dass das Glas so dünn und leicht ist wie kein anderes. Das Glas ist von einer beeindruckenden Elastizität, die dafür sorgt, dass man es auch beliebig oft im Geschirrspüler waschen kann.

Der Genuss von Wein aus diesen Gläsern ist ein völlig anderes Wahrnehmungserlebnis. Der Duft, das Spiel der Aromen, kommt kristallklar zur Geltung. Weine, die in anderen Gläsern stumpf und bedrückt wirken, bekommen plötzlich Auftrieb und Seele. Selbst Weine, die man gut zu kennen meint, zeigen sich plötzlich frischer, fröhlicher. Kein Wunder, dass die führende Weingastronomie in ganz Europa das Glas – bevorzugt das Universal- und das Burgunderglas, auch meine Favoriten – zu entdecken beginnt.

Einziger Nachteil: Man will nie wieder aus einem anderen Glas trinken.