Standpunkt Nr. 7

Interview mit Etienne Thiébaud

geführt von Lukas Frey und Severin Aegerter, Juni 2015

Sie stammen aus einer Familie ohne Weinbautradition und sind Quereinsteiger. Wünschen Sie sich gelegentlich aus einem Reservoir einer Familientradition schöpfen zu können?

Der Weg als Quereinsteiger hat auch viele Vorteile gegenüber einem Werdegang innerhalb einer Weinbaufamilie mit entsprechender Vorgeschichte. Man hat alle Freiheiten, ohne Vorgaben und familiär geprägter Erwartungshaltungen beginnen zu können. Für mich ist es eine Frage der Sensibilität, der Interessen und der Überzeugung, das tun zu können was ich will. Es ist bereits an und für sich kein einfacher Weg, weit weg vom Mainstream zu arbeiten, vermutlich wäre es aber noch weniger einfach, innerhalb eines bereits etablierten Betriebes unbeirrt seine Überzeugungen umzusetzen.

Hat man Sie im Jura unter den Winzern ausschliesslich mit offenen Armen empfangen oder begegnete man Ihnen auch mit Skepsis (wie das üblicherweise der Fall ist)?

Anfeindungen erlebte ich nie. Es gibt im Jura viele „Fälle“ wie mich, so dass dies gar eine Charakteristik der Region sein könnte. Zudem stamme ich ja aus der Region.

Welche Inspirationsquelle für Sie als Winzer würden Sie im Besonderen betonen?

Als ich das erste Mal Weine von Claude Courtois aus der Loire getrunken hatte, bekam ich sofort Gänsehaut. Das Erlebnis berührte mich sehr, motivierte und inspirierte mich nachhaltig. Im Alltag hier im Jura inspirieren wir uns jedoch laufend und gegenseitig. Wir sind eine verschworene Gruppe von jungen Winzern, die sich über unsere Situation, Herausforderungen und Aspekte unserer täglichen Arbeit austauschen.

Welchen Stellenwert hat die Tradition generell in der Weinkultur aus Ihrer Sicht? Wie wichtig sind Aspekte der Tradition in Ihrer Arbeit?

Ich weiss, was ich will. Klar, Vorkämpfer wie Pierre Overnoy haben viel Pionierarbeit hier im Jura und darüber hinaus geleistet, so dass heute niemand mehr beweisen muss, dass schwefelfreie Weinbereitung möglich ist und gewaltige Vorzüge mit sich bringt. Aber die Tradition mit Blick zurück ist für mich sekundär. Ich bin jedoch froh, in einem Weinbaugebiet arbeiten zu können, das über lange Zeit zu dem gewachsen ist, was es heute ist.

Heute beobachtet man eine regelrechte Bewegung im Weinbau, die bewusst auf jegliche chemische Zusätze und die Zugabe von Schwefel verzichtet. Sehen Sie diese Bewegung ausschliesslich positiv?

Es ist hilfreich, dass eine wachsende Zahl von Winzern ein gesteigertes Bewusstsein für eine natürliche Produktionsweise und für die Vorzüge von schwefelfreien Weinen hat. Dadurch gelangen mengenmässig mehr solche Weine in den Verkauf, was wiederum bei einer breiteren Kundschaft ein gesteigertes Bewusstsein für unsere Produkte bewirkt. Allfällige Trittbrettfahrer betreffen mich nicht und machen mir auch keine Sorgen, da sie rasch als solche entlarvt werden. Die Idee einer Bewegung interessiert mich bestenfalls indirekt, denn als eigentlicher Teil davon sehe ich mich nicht. Auf meinen Etiketten schreibe ich nichts von „vin naturel“ oder „sans sulfites ajoutés“ oder gar von einer biodynamischen Zertifizierung. Ich mache Wein.

Sehen Sie den Zeitgeist als relevanter Faktor in Ihrer Ihre Arbeit als Winzer oder in Ihrer ästhetischen Definition von Wein?

Nein. Ich lebe und arbeite zufällig in einer Zeit, wo externe Beobachter aktuelle Tendenzen als Zeitgeist betiteln. Ein Aspekt des Zeitgeists, der mir ein wenig Sorge macht, ist die mögliche Preisspekulation, die dann eintritt, wenn Akteure sich zu involvieren beginnen, die nicht primär Interesse an tollen Weinen haben, sondern einem Trend folgen.

Was sollten Ihre Weine nach Möglichkeit transportieren, was ist Ihnen besonders wichtig, damit Wein Sie berührt?

Die Weine, die mich interessieren, sind komplex und finessenreich, gleichzeitig jedoch sehr diskret. Sie sin hoch mineralisch und sehr direkt. Und sie müssen Situationen und Orte illustrieren – nicht nur jahrgangs- und terroirspezifisch – sondern z.B. auch Ambiance und Gerüche des Kellers transportieren können.

Wie charakterisieren Sie die Weinregion des Französischen Juras?

Die Dynamik im Jura ist spannend: Es ist in Mitteleuropa vermutlich die einzige Weinbauregion, wo beginnen kann, wer will. Man kann noch Rebland kaufen oder pachten oder gar in als Rebland eingezontem Brach- oder Wiesland Neupflanzungen machen – zu bezahlbaren Preisen. Das ist einzigartig und zieht auch relativ viele junge Winzer an, die es wagen wollen, teilweise mit sehr kleinen Flächen und ebenso kleiner Produktion. Da wird noch viel Positives entstehen.