Muster

Interview mit Sepp Muster

Interview mit Sepp Muster

Leutschach, 27.7.2020

1978 hat dein Vater das heutige Weingut Muster kurz vor dem Zerfall gekauft, und du hast ihn damals beim Wiederaufbau mit deiner jugendlichen Kraft kräftig unterstützt. Wie muss man sich diesen Prozess vorstellen?

Als mein Vater das Weingut 1978 gekauft hat, waren die Häuser kurz vor dem Zusammenfallen und die rund vier Hektar Reben waren ebenfalls in einem sehr schlechten und verwilderten Zustand. Im Haupthaus gab es z.B. einen grossen Raum mit zwölf Betten, die noch aus der Zeit stammten, als auf dem Betrieb über zwanzig Knechte und Mägde angestellt waren. Praktisch alles musste umfassend renoviert und neu gebaut werden. Das Landwirtschaftsland des Mischbetriebs war aufgrund der steinigen Böden und der Exposition der einzelnen Lagen geradezu prädestiniert für Weinbau, so dass wir schon bald mehr Reben gepflanzt haben, um heute nun eine Gesamtfläche von zehn Hektar Reben zu bewirtschaften.

War damals die Biodynamie in irgendeiner Form bereits präsent?

In den Anfangszeiten des Betriebs produzierten wir konventionell: Daraus resultierten sehr einfache Weine, sogenannte Doppelliter-Ware. Das Qualitätsbewusstsein war eher bescheiden und die Ansprüche stiegen nur langsam – sowohl in der Produktion wie auch in unseren damaligen traditionellen Märkten. Der Durchbruch kam 1991, als ich die Verantwortung für Reben und Keller übernahm und dann später nochmals mit dem entscheidenden Schritt, als ich im Jahr 2000 zusammen mit Maria den Betrieb übernahm. Nicht nur arbeiteten wir inzwischen biodynamisch, vor allem veränderten sich die Weine und damit einhergehend die Kunden und Märkte.

Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das die Entwicklung zum heutigen Weingut massgeblich prägte?

Das Leben ist ein ständiger Prozess, aber unser eigentliches Schlüsselerlebnis war 1998, als wir in Indien einen Kurs in biodynamischer Landwirtschaft mit dem Neuseeländer Peter Proctor besuchten. Ich war damals ganz allgemein auf der Suche und war nicht einmal sicher, ob ich weiterhin Weinbau betreiben soll. Maria und ich konnten in undogmatischer Art erfahren, wie Landwirtschaft nicht bloss harte und entbehrende Arbeit ist, sondern wie man die Natur und die Prozesse beobachtet und mit der Natur zusammenarbeiten kann. Man muss zuerst die Gesamtheit der Landwirtschaft verstehen, um dann auch spezifisch den Weinbau weiterbringen zu können – mit allen Eigenheiten, die jeder Betrieb individuell in sich trägt. In diesem Moment bekamen wir die Motivation zurück, mit unserem Betrieb konsequent und umfassend so zu arbeiten und so zu leben.

Wie hast du die Abkehr von den gängigen landwirtschaftlichen Mustern in deiner Umgebung erlebt? Was waren die sozialen Auswirkungen?

Die Weine begannen anders zu schmecken und so verloren wir bisherige Kunden und Märkte. Wir fanden aber rasch Leute, denen die veränderten Weine schmeckten und konnten so neue Märkte aufbauen. Ausgelöst über die Produkte ergab sich auf der sozialen Ebene aber eine gewisse Separation, obwohl wir nach wie vor mittendrin und unter unseren Nachbarn und Freunden leben. Es bleiben unsere Freunde, auch wenn wir über den Weinbau nicht allzu viele Berührungspunkte haben.

Du hast in der Südsteiermark einen neuen Weinstil geschaffen. Wie haben die Behörden darauf reagiert?

Grosse Probleme bekamen wir nie, aber wir erhielten zum Beispiel keine Prüfnummer mehr. Das war für uns jedoch nicht weiter schlimm, im Gegenteil: Ich wollte das Spiel eh nicht mitspielen, wo amtliche Verkoster beurteilen und bewerten, was gut und was wertlos ist. Wir haben aufgehört, Weine für Verkostungen und Bewertungen einzureichen. Schliesslich wollen wir, dass der Konsument selbst die Verantwortung übernimmt und entscheidet, was ihm schmeckt. Mir scheint das gar ein Lebensprinzip, dass jeder mehr Verantwortung für sein Tun und Handeln übernehmen sollte.

Du hast mit der Gruppe «Schmecke das Leben» einen engen Austausch mit vier weiteren Betrieben gepflegt und ihr habt durch intensive Reisetätigkeit über Jahre einen neuen Weinstil aus der Südsteiermark weltweit etabliert. Wie wichtig war dieser Austausch und die Dynamik dieser Gruppe?

Die Gruppe entstand aus Freundschaft – wir waren und sind fünf Freunde und verfolgten ähnliche Ideen. Als lose Gruppe haben wir eigentlich gar nicht so viel gemacht, und dennoch entstand eine neue und wichtige Dynamik und vor allem ein enger Austausch. Wir unterstützten uns gegenseitig, was auch gegen aussen eine grössere Wirkung erzeugte. Zum Beispiel konnte ein interessiertes Publikum an Verkostungen nicht bloss einen einzelnen Winzer mit einem vielleicht ungewöhnlichen Weinstil kennenlernen – und den dann gleich als abwegig abtun und wieder zu den konventionellen Produkten zurückkehren. Mit fünf Produzenten mit einem vergleichbaren Weinstil waren wir quasi eine kritische Masse, die bei vielen Interessierten bleibende Eindrücke hinterliess, so dass sich die Vorlieben und somit das Konsumverhalten vieler Leute grundsätzlich verändert hat.

Als Besucher des Weinguts Muster empfindet man das in sich funktionierende, stimmige Gesamtsystem sehr stark. Du stehst seit 42 Jahren mitten drin und bist Teil davon. Ist das Weingut Muster heute angekommen?

Alles verändert sich ständig, die Natur, das Klima, die Extreme. Die Weine verändern sich dementsprechend ebenfalls weiter. Der Zugang der Menschen zu diesen Weinen hat sich in all den Jahren sicherlich auch stark verändert, die Leute sind aufgeschlossener gegenüber unserer Art von Weinen geworden. Die Bewegung geht weiter und wir nehmen, was wir bekommen.

Die Weine transportieren eure Geschichte in die ganze Welt – ihr exportiert aktuell in rund 25 Länder. Gibt es bei deinen Weinen bestimmte Eigenschaften, die dir besonders wichtig sind?

Die Weine sollen den Ort vermitteln, wo sie herkommen. Wie der Wein das macht, weiss ich nicht, ich überlasse das ihm.

Wenn du dich selber mit Wein konfrontierst: Wann erfreut dich ein Weinerlebnis besonders?

Gutes Essen und guter Wein sollten das Gehirn ein bisschen auszuschalten vermögen und dich wieder mehr ins Gefühl gehen lassen. Was spürst du, tut es dir gut, belebt es dich? Ich will das Leben auch als Genuss empfinden können – und dazu kann Wein etwas beitragen.

zu den Weinen von Sepp&Maria Muster