Standpunkt Nr. 5

Weine die glücklich machen

Von Severin Aegerter

Hartnäckig hält sich der Irrglaube, dass der Schlüssel zu höchstem Weingenuss vorwiegend in einem intellektuellen Zugang zu finden sei. Uneinsichtig schlürfen und spucken Heerscharen von Journalisten rund um den Globus mit blauen Zungen und tauben Geschmacksnerven an masslosen Verkostungen und Degustationspannels, geben am Ende vornehmlich unverständliche Platituden von sich und meinen verheerenderweise definieren zu können, was gut und teuer ist. Empfänglich dafür sind die engagierten aber oftmals irreparabel verbildeten Weinamateure, die ihre Urteile häufig bereits nach dem ersten Schluck fällen und mit ihrem Halbwissen das Sozialprestige aufpolieren. Über die Klinge springen dabei meist die leisen, zarten Weine. Dabei ist es ganz einfach: Höchster Weingenuss und Urteilsfähigkeit stellen sich nur dann ein, wenn man lustvoll und aufmerksam Zeit mit Wein verbringt. Bedeutende Weine sind jene, die letztendlich inspirieren und glücklich machen. Nicht zwingend beim ersten Schluck, sondern am Ende der Flasche. Bei den Weinen von Georges Descombes kommt das Ende früher als erwartet und das Glück ist, nach Befolgen der Gebrauchsanweisung, garantiert.

Die Aussage mag verwegen klingen, wenn ich das Potential des Beaujolais für grosse langlebige Weine ähnlich einschätze, wie jenes der strahlenden Côte d’Or, namentlich Wiege der prestigeträchtigsten Weine der Welt. Ein Blick zurück zeigt, dass noch vor nicht allzulanger Zeit die grossen Crus aus dem Beaujolais bedeutend höhere Preise erzielten als jene aus dem nördlichen Burgund. Dies zeigt mit aller Deutlichkeit, das die naturgegebenen Eigenschaften einer Weinregion zwar ideale Voraussetzungen bieten können. Damit aber Weine entstehen, die ein hohes Mass an Originalität oder eben Exzellenz erlangen, bedarf es eines perfekten Zusammenspiels zwischen der kulturprägenden Tätigkeit des Menschen und den Bedingungen der Natur. Der Winzer muss seine unmittelbare Umgebung in all ihren Facetten kennen und verstehen und zudem bereit sein, beharrlich den beschwerlichen Weg zu beschreiten. Bekanntlich hat das Beaujolais einen anderen Weg eingeschlagen als die Côte d’Or und den Weltmarkt mit belanglosen, zum Teil sogar schmerzhaften Weinen eingedeckt. Was wir aktuell erleben, ist eine wachsende Kleinstfraktion an Winzern, die die Renaissance des Beaujolais als eine der faszinierenden, uralten Weinlandschaften in grossen Schritten voranbringt. Die Avantgarde der Spitzengastronomie hat diese Entwicklung längst erkannt und ihre Weinselektionen entsprechend angepasst. Das Spitzenrestaurant Noma in Kopenhagen beispielsweise, listet aktuell zweiundzwanzig Positionen aus dem Beaujolais gegenüber null aus dem Bordeaux! Ich bin also kein Prophet, wenn ich dieselbe Entwicklung im konservativen Weinmarkt der Schweiz voraussage.

Georg Descombes und sein Beaujolais

Eine zentrale Figur der Renaissance des wahren Beaujolais ist der stille Schaffer Georges Descombes. Seine Stätte liegt inmitten seiner Weingärten in den sanft ansteigenden Hügeln von Morgon, die die Ebene des oberen Rhônetals westlich begrenzen. Die Böden der Weingärten von Georges Descombes sind geprägt von teilweise unverwittertem Granit, der lediglich von einer dünnen Humusschicht überzogen ist. Georges Descombes ordnet der Arbeit in den Reben alles unter und strebt mit grossem Aufwand in seinen Weingärten ein möglichst autonomes Biosystem mitsamt seinen intakten Mikroorganismen an. Konkret bedingt dies einen weitgehenden Verzicht auf Chemikalien und viel Handarbeit im Bearbeiten der Böden. Durch das vorherrschende Gobelet-Erziehungssystem – die Reben gedeihen hier als niedrige freistehende Bäumchen – resultiert ein Mehraufwand, der für Weine aus dem Beaujolais von keinem Markt auf der Welt erstattet wird – zumindest heute nicht. Winzer wie Georges Descombes erhalten ihren Mehrwert in der Leidenschaft, die sie in ihrer Berufung erfahren, sowie im subtilen Ausdruck von Terroir, mit dem ihre Weine offene Geister rund um den Erdball berühren.

Gebrauchsanweisung

Die Weine sind mit Siegellack verschlossen. Versuchen sie das Siegel vor dem Öffnen nicht vorher mühselig zu entfernen. Erwärmen Sie den Lack kurz über einer Kerze, um das Siegel mit dem Herausziehen des Zapfens sauber und leicht zu brechen. Stellen sie sicher, dass der Wein die richtige Trinktemperatur hat. Diese sollte nie über 16°C steigen. Lagern Sie den Wein nicht im Wohnbereich. Der Wein wurde ohne Zugabe von Schwefel abgefüllt und leidet unter der Lagerung im geheizten Wohnbereich. Trinken Sie ab sofort den Régnié. Dieser Cru stammt aus etwas tieferen Böden und ist bereits in der Fruchtphase wunderbar zugänglich. Falls Sie den Morgon bereits über die Festtage öffnen, dann dekantieren Sie den Wein mindestens eine Stunde vorher. Der Morgon stammt aus kargen Lagen und ist reich an Struktur und Gerbstoff. Wählen sie die grössten Gläser die zur Verfügung stehen, im Idealfall Burgunderkelche. Braten Sie ein Poulet aus der Bresse, einen Schweinebauch oder schmoren sie ein gutes Stück vom Alpschwein, von einem Rind aus dem Charolais oder dem Simmental. Halten Sie zur Sicherheit noch eine weitere Flasche bereit. Sie werden der delikaten Saftigkeit, Souplesse und Bekömmlichkeit dieser Weine zusprechen und mehr ertragen als üblich. Falls Sie die Weine während zehn Jahr vergessen sollten, werden sie sich ein grosses Geschenk bereiten.

Régnié
Morgon

Dieser Artikel ist erschienen im Loeb-Magazin Winter 2013/14.